Das Haus des Lebens.

Die ersten Steine wurden zur Geburt gratis mitgeliefert und so baute ich mit Hilfe meiner Eltern einen stabilen Keller, in dem Raum für alles mögliche war. Die Grundmauer wuchs Meter um Meter in die Höhe und allmählich nahm es Gestalt an – das Haus meines Lebens.

In den Anfängen war ich zu klein, zu planlos, um ein Modell zu entwerfen, anhand dessen ich mein Haus hätte zielgerichtet bauen können. So baute ich mit Feuereifer an ihm herum und setzte jede Idee, die mir gerade in den Sinn kam oder über den Weg lief, mehr oder weniger professionell um.

Nach und nach entstand ein komplexes, vielschichtiges und verwinkeltes Gebäude, das so zwar keinen Architekturpreis gewinnen würde, mich aber glücklich machte. Mir gefiel mein Haus. Ich kannte jede Ecke, jedes Schlupfloch, jeden Winkel und ich füllte jeden davon mit meinen Erinnerungen und Erfahrungen.

Alle Jahre wieder, schleppte ich eimerweise Farbe und dutzende Rollen Tapete an. Ich verlegte Teppichböden, legte Dielen frei und bepflanzte meinen Garten. Sogar einen kleinen Teich legte ich an. Sobald ich an einer Stelle fertig war, forderte eine andere die wohl verdiente Aufmerksamkeit ein.

So wuchs mein Haus beständig und ich fühlte mich heimisch, angekommen. Immer mehr. Manchmal teilte ich mein Heim mit MitbewohnerInnen, doch am Ende war ich immer froh, wieder allein zu sein und gemütlich vor dem prasselnden Kaminfeuer vor mich hin träumen zu können. Ich hätte kaum glücklicher sein können und so war eine Veränderung meiner Wohnsituation nichts, was je zur Diskussion gestanden hätte.

Vor knapp zwei Wochen jedoch wurde meine kleine Welt erschüttert. Über Nacht packte mich das Fieber und während ich mich durch das Delirium kämpfte, räumten andere mein Haus aus. Sie schleppten Möbel, pflückten Tapeten von den Wänden, rissen Bodenbeläge raus, machten den Garten dem Erdboden gleich, schütteten den Teich zu und liessen nichts zurück ausser den Grundmauern und das blanke Grundstück, auf dem es seit jeher steht. Selbst die Wände zwischen den Zimmern wurden eingerissen und am Ende blieb nur ein hohler Kubus, der zwar viel Raum für Neues bot, aber nicht einmal mehr ansatzweise an das erinnerte, was einmal war.

Nur langsam erwache ich aus meinem Dämmerschlaf und traue meinen Augen kaum. Hielt ich das Geschehen der vergangenen Tage für einen bösen Traum, Halluzinationen, folgt nun das Erwachen und (An) Erkennen der neuen Wirklichkeit. Meiner neuen Realität.

Mein Haus ist weg. Kein Staubkorn wirbelt durch die Luft, kein Klecks Farbe ist zu sehen, kein Möbelstück schmückt die Räume. Glänzende Sauberkeit überall. Fast schon Sterilität. Hallende Böden, die das Echo meiner zaghaften Schritte zurückwerfen. Irgendwer oder irgendetwas hat das Haus meines Lebens entkernt, ausgeräumt und ich weiss nicht, warum.

Wie eine Ertrinkende klammere ich mich an die Zipfel dessen, was bis vor kurzem mein Leben, meine Welt war und muss gleichzeitig erkennen, dass nichts zu retten, zu halten ist. Widerwillig lasse ich los und sehe auch noch das letzte bisschen Vertrautheit entschwinden.

Da sitze ich nun also inmitten des leeren Raumes und weiss nicht, wie und womit ich ihn füllen soll. Noch erschliesst sich mir die Tatsache der unendlichen Möglichkeiten nicht, die so ein kahles Haus bietet. In mir wütet noch der Kampf um das Annehmen des Unveränderbaren. Warum auch immer, sehe ich mich mit 31 Jahren einer kompletten Veränderung gegenüber und bin dadurch gezwungen, alles neu zu erschaffen.

Ich will das aber nicht. Ich glaube nicht an das Vorhandensein der Kraft, die ich dafür bräuchte. Will nicht alles neu entwerfen und aufbauen. Woher soll ich die Zeit, Muße, das Geld und die Kreativität nehmen, um all das neu zu bilden, was 31 Jahre meines Lebens in Anspruch genommen hat? Ich bin ratlos. Weit weg von mir. Heimatlos in den eigenen vier Wänden.

Ich kuschle mich in eine warme Decke, krieche in die Ecke, in der bisher der Kamin stand und suche den erlösenden Schlaf, der sich erfolgreich vor mir versteckt. Ich schliesse die Augen vor der Leere, die mich umgibt und hoffe, dass morgen alles anders ist. Nicht anders. So wie bisher. Wie immer. Wieder vertraut. Wieder Zuhause. Hoffe, dass ich wieder zurück finde zu mir und bereit bin, zumindest die neue Grundierung auf die nackten Mauersteine aufzutragen.

Zurück auf Null. Warum auch immer. Es gibt kein Zurück. Nur nach vorn. Von vorne.

Auf zu neuen Ufern und vertrauten Mauern. Ein neues Haus muss her. Das Fundament ist solide, der Innenraum will wieder gefüllt werden. Mit Erfahrungen, Erinnerungen, der Farbe des Lebens, dem Klang des Lachens, dem Bodenbelag der Zuversicht.

Es sieht so aus, als müsste ich dem Baumarkt des Lebens einen ausführlichen Besuch abstatten und mich aufraffen, mir ein neues Zuhause zu schaffen. Auf geht`s. Und diesmal vielleicht sogar mit einer Art Plan, damit auch wirklich jeder vorhandene Zentimeter sinnvoll genutzt wird und doch Raum bleibt für Unvorhersehbares.

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