Es gibt ja so Themen, die gemeinhin als Tabu bezeichnet werden. Man spricht nicht über Geld, nicht übers Alter, nicht über Sex in der Öffentlichkeit und ganz bestimmt nicht über Behinderungen. Schon gar nicht, wenn das mit einem Fetisch verbunden ist.
Sara Lövestam hat eines dieser vermeintlichen Tabus gebrochen und einen beeindruckenden Roman geschrieben, in dem sich die Themen, über die man, wenn überhaupt, nur hinter vorgehaltener Hand oder in der Anonymität des Internets, spricht, nur so tummeln.
Da ist zum einen Lelle. Lelle liebt Frauen und sie genießt diese Liebe zu Frauen. Die genießt Frauen wie „andere Schokolade“. Lelle steht zu ihrer Vorliebe und auch dazu, dass sie nicht unbedingt auf eine feste Bindung aus ist. Darüber hinaus redet Lelle wie ihr der Schnabel gewachsen ist und sie scheut sich auch nicht, Fragen zu stellen, die man so einfach nicht stellt. Zum Beispiel, wie Menschen ohne Beine auf die Toilette gehen. Doch vielleicht ist es die Summe all dessen, die Lelle zur besten Freundin von Martin macht.
Martin ist ebenfalls besonders. Zumindest was seine Vorlieben angeht. Als Filialleiter und äußerst attraktiver Mann gibt er mit seinem Reihenhaus eine recht gute Partie ab. Doch Martin interessieren all die Frauen nicht, die ihm schmachtend hinterher schauen. Denn Martin steht auf Frauen mit dem gewissen Etwas. Was für die Masse abstoßend, unschön und unvollkommen ist, ist Martins Obsession. Martin hat einen Fetisch und der bezieht sich auf amputierte Gliedmaßen. Als seine Klassenkameraden sich im Playboy kaum sattsehen konnten, stellte Martin sich vor, wie es wohl ist, eine Frau zu berühren, der ein Arm oder ein Bein fehlt…
Nur Lelle weiß von Martins Fetisch und Lelle ist auch diejenige, die Martins große Liebe Paula als erste kennen lernt. Paula sitzt im Rollstuhl und steht zu der Tatsache, dass sie keine Beine hat. Sie macht sich nicht die Mühe, ihr Fehlen durch Prothesen zu verstecken. Paula ist es leid, etwas vorzugeben, was sie einfach nicht ist und so konzentriert sie sich auf zusammengesetzte Verben und schreibt an ihrer Doktorarbeit.
Als sie Martin kennen lernt, kann sie nicht glauben, dass er sie wirklich schön findet und lässt sich nur sehr kontrolliert auf ihn und diese Beziehung ein. Bei einer Weinprobe in Martins Haus, lernt Paula Lelle kennen und die beiden scheinen wie Feuer und Wasser zu sein. Sie schenken sich nichts an Schlagfertigkeit und es wird schnell klar, dass sie beiden niemals Freundinnen werden.
Doch während Lelle ihre aktuellste Affäre abschießt und Martin daran verzweifelt, dass Paula ihn nicht an sich heran lässt, nähern sich die beiden Frauen einander an. Irgendetwas reizt sie aneinander. Sie regen sich maßlos übereinander auf und Paula kann noch immer nicht fassen, wie unverfroren und unverschämt Lelle manchmal ist.
Auf dem Weg zur Hochzeit von Paulas Bruder nimmt das Schicksal seinen Lauf und auf einmal ist nichts mehr, wie zuvor. Auf einmal taucht da eine Halbschwester Martins auf, die im Säuglingsalter abgeschoben wurde und die ebenfalls keine Beine hatte. Was hat es mit Lilles Familiengeschichte auf sich? Wird Paula je erfahren, wer ihre biologischen Eltern sind und kann eine Liebe, die der großen Liebe des besten Freundes gilt, bestehen…?
„So wie Du bist“ ist ein mutiger, eindringlicher und tief beeindruckender Roman. Sara Lövestam hat sich gewagt, Themen zu behandeln, die sonst im besten Fall tot geschwiegen werden und das hat sie auf eine wunderbare Art und Weise getan. Sie hat es verstanden, sich diesen Themen zu nähern, ohne sie zu werten, zu überzeichnen oder Klischees zu bedienen.
Dieser Roman ist so breit gefächert und beleuchtet jedes noch so kleine Detail. Er nimmt die Leserin mit auf die Reise in eine Welt, die uns täglich umgibt, vor der wir aber gern die Augen verschließen. Sie zeigt auf, wie schwer es ist bzw. sein kann, sich als behinderter Mensch mit seinem Körper und der eigenen Sexualität zu befassen. Wie schwer es manchmal ist, sich einzugestehen, was man will, wonach es einem verlangt und was einem gut tut.
Dieser Roman handelt von Fetischen, Freundschaften, Loyalität, Toleranz und Mut. Nicht zuletzt ist er eine Liebesgeschichte und ein komplexes Familienportrait, denn niemand von uns steht ohne Familie da. Es gibt immer irgendwelche Geschichten und Verbindungen, auch wenn uns diese nicht immer bewusst sind.
„So wie Du bist“ ist ein kluger und schöner Roman. Ich wünsche mir viel mehr solcher Geschichten und ich hoffe, dass Sara Lövestam mit ihrem Buch dazu beitragen kann, dass wir die Augen öffnen für die Vielfalt, die uns umgibt. Dass wir durch die Lektüre toleranter und offener wären. Dass wir weniger urteilen und mehr zugestehen. Dieser Roman macht mir Hoffnung. Hoffnung auf ein besseres Miteinander.
Sara Lövestam, Jahrgang 1980, begann im zarten Alter von vier Jahren zu schreiben. Mit achtzehn reichte sie ihren ersten Roman ein, doch kein Verlag erkannte ihr wahres Genie. Einige Jahre später wusste Sara Lövestam, wie viel Arbeit es wirklich erfordert, einen Roman zu schreiben. 2009 gewann sie den Romanwettbewerb des renommierten schwedischen Verlags Piratförlaget, und wenig später erschien ihr Debütroman So wie du bist, dem inzwischen vier weitere Romane gefolgt sind. (Quelle: Verlagsinformation)